Warum Frankreich Deutschland bei Vehicle-to-Grid überholt hat

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The Mobility House Team

12. Juni 2025

(Letzte Aktualisierung: 11. Juni 2025)

Geschätzte Lesezeit: 4 minutes

In Frankreich scheint V2G im Gegensatz zu unserem Land "très facile" vonstatten zu gehen. Warum ist Vehicle-to-Grid bei unseren Nachbarn so leicht umsetzbar, welche strukturellen, regulatorischen und marktbezogenen Faktoren spielen eine Rolle?

1. Landschaft der Netzbetreiber

Frankreich hat ein stark zentralisiertes Energiesystem, das von wenigen großen Akteuren dominiert wird. Ein Vorteil ist besonders, dass es einen übergeordneten Netzbetreiber gibt: Enedis. Dadurch sind Entscheidungen und Innovationen wie V2G leichter umzusetzen, weil weniger Abstimmungsbedarf zwischen verschiedenen Netzbetreibern besteht.

Und bei uns? In Deutschland findet man einen fragmentierten Energiemarkt mit knapp 900 Netzbetreibern. Das macht die Koordination von V2G-Projekten auf nationaler Ebene deutlich schwieriger, da für Vehicle-to-Grid unter den vielen Netzbetreibern noch kein standardisierter Umsetzungsrahmen besteht.

2. Unterschiedliche Strommärkte

Was die Eigenheiten der Strommärkte betrifft, würde eigentlich mehr dafür sprechen, in Deutschland mit V2G zu starten. Warum?

  • Frankreich bezieht mehr Atomstrom und hat vergleichsweise viel Kapazität an Wasserspeichern. Diese Kombination führt dazu, dass der Druck auf das französische Energiesystem und insbesondere auf das Stromnetz bislang noch gering ist.
    Obwohl es weniger Schwankungen durch erneuerbare Energien als in Deutschland gibt, kann auch hier V2G sich als netzdienlich erweisen.
  • Deutschland ist im Zuge der Energiewende stark auf volatile erneuerbare Energien angewiesen. Das Netz ist dadurch anfälliger für Schwankungen. V2G kann genau diese Schwankungen ausgleichen. Der deutsche Strommarkt wäre an sich prädestiniert für bidirektionales Laden. Durch bidirektionales Laden könnten mehr Erneuerbare Energien genutzt werden als bislang möglich.

In Deutschland lässt sich die Stromerzeugung in zwei Kategorien unterteilen: konventionelle und erneuerbare Stromerzeugung. Die wachsende Bedeutung von erneuerbaren Energien im Strombereich geht vor allem auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zurück. Seit der Einführung des EEG ist der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch von rund 6 % im Jahr 2000 auf 47 % im ersten Quartal 20251 gestiegen.

1 Quelle: BDEW

E-Auto Erneuerbare Energien

3. Regulatorische und technische Voraussetzungen

Für die Umsetzung von V2G ist ein Smart Meter entscheidend. Warum? Weil nur damit die Bilanzierung und Abrechnung der bezogenen und eingespeisten Strommengen zuverlässig funktionier. Beim Smart Meter Rollout gibt es jedoch entscheidende Unterschiede zwischen beiden Ländern:

  • Frankreich hat vor über 10 Jahren den Smart Meter-Rollout gestartet und dadurch ideale Rahmenbedingungen für bidirektionales Laden geschaffen. Smart Meter sind das Herzstück für bidirektionales Laden.
  • Deutschland: Bisher fehlt es hier an intelligenten Stromzählern, was auch an den fehlenden Standards der Menge an Netzbetreibern liegt. Bidirektionales Laden ist in der Praxis ohne Smart Meter nicht möglich.

Finanzielle Anreize: Insbesondere die Netzentgelte unterscheiden sich stark in beiden Ländern.

  • In Frankreich profitieren die Verbraucher:innen bereits von finanziellen Anreizen beim Einsatz von V2G: Durch die Einspeisung von Energie ins Netz können sie Monat für Monat Geld zurück bekommen. Mit einem Rundum-Paket wie unserem, das wir mit Renault und Mobilize anbieten, können Kund:innen monatlich Geld verdienen, wenn man das Fahrzeug regelmäßig ansteckt. Laut einer Studie der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) sind mit V2G sogar bis zu 370 € pro Fahrzeug und Jahr möglich2.
  • Zum Hintergrund in Frankereich: es fallen Netzentgelte für die ins Netz zurückgespeiste Energie an, jedoch werden Steuern in Höhe von 115 % der rückgespeisten Energiemenge erstattet, um die Verluste durch den Lade- und Entladevorgang (Round-Trip-Verluste) auszugleichen. Das unterstützt das Geschäftsmodell von Vehicle-to-Grid erheblich, da es die erforderliche Preisdifferenz senkt, die nötig ist, um mit V2G einen Gewinn zu erzielen. Einfach gesagt: Wer Strom aus dem Elektroauto zurück ins Netz einspeist, bekommt in Frankreich sogar etwas mehr Steuern zurück, als er für diese Strommenge ursprünglich bezahlt hat – das macht V2G finanziell attraktiver.
  • In Deutschland dagegen müssen Verbraucher:innen derzeit noch doppelt zahlen - Energiesteuern und Netzentgelte - wenn sie V2G nutzen. Bidirektionales Laden ist also derzeit wirtschaftlich noch nicht attraktiv, aufgrund hoher Installationskosten der Smart Meter und doppelter Netzentgelte bei Rückeinspeisung.

2 Quelle: V2G Integration Europa – Schwerpunkte der Umsetzung in Frankreich, Großbritannien und Deutschland im Vergleich

4. Herstellerinitiativen

  • Frankreich: Enge Kooperationen zwischen Energieversorgern und Fahrzeugherstellern wie Renault, die früh V2G-fähige Fahrzeuge und Ladeinfrastruktur entwickelt haben, fördern V2G-Produkte.
  • Deutschland befindet sich zwar technologisch nicht im Rückstand, aber die großen Hersteller (wie VW oder Mercedes-Benz) haben sich erst spät konkret zu V2G bekannt oder fokussieren eher auf Vehicle-to-Home (V2H) oder Vehicle-to-Load (V2L). Ein erstes konkretes V2G Produkt soll jedoch noch 2025 in Deutschland an den Markt gehen.

5. Frühe Pilotprojekte & politische Förderung

  • Frankreich startete mehrere Pilotprojekte schon ab ca. 2018, z. B. in Kooperation mit Inselnetzen (z. B. La Réunion) oder städtischen Projekten. Die Regierung sah V2G früh als Baustein der Netzstabilität.
  • In Deutschland gab es zahlreiche Pilotprojekte, zum Beispiel von uns mit Partnern wie Nissan, Groupe Renault oder Audi - einen Überblick findest du hier - aber die Umsetzung in einem größeren Rahmen blieb Theorie, weil die Rahmenbedingungen in Deutschland noch nicht optimal waren und sind.

Fazit: Frankreich setzt auf klare Regeln, zentrale Steuerung und aktive Industrie – Deutschland wird von seinem uneinheitlichen Netz der Netzbetreiber ausgebremst. Frankreich hat Deutschland überholt, weil es nur einen einzigen großen Netzbetreiber gibt, weil es flächendeckend intelligente Stromzähler gibt, und weil beim ersten kommerziellen V2G Angebot mit Renault ein starker Automobilhersteller als Partner hinter der Innovation steht.